24.11.2024

Verehrte Newsletterabonnentinnen und -abonnenten,

Manchmal muss man zurückrudern. Und das tue ich jetzt. In der letzten Ausgabe des Newsletters habe ich Claudia Roth, der Bundeskulturstaatsministerin in der Angelegenheit um die Finanzierung des „Quellenlexikons der Musik“ (RISM) den Vorwurf gemacht, dass sie den „Rothstift“ schwinge und das Fortbestehen dieser Institution durch Streichung von Fördermitteln ab 2026 gefährde. Allerdings verbunden mit der Verwunderung darüber, dass vor allem in Kreisen rechtsextremer Publikationen wie der „Achse des Guten“ und bei der AfD deshalb Claudia Roth ins Visier genommen und ihr der Rücktritt nahegelegt wurde. Irgendetwas an der Geschichte schien mir auch letzten Freitag schon nicht ganz „sauber“.

Das Thema hat ja seine Runden gedreht: Der Musikwissenschaftler Arnold Jacobshagen gab zu Problematik der Finanzierung des RISM ein Rundfunkinterview bei „sr2“, der Musikhistoriker Dr. Balázs Mikusi wurde als Leiter der Zentralredaktion des RISM in Frankfurt von „radio 3“ befragt. Ausgegangen sind viele Kommentare zum Thema von einem Artikel in der FAZ, den die Musikwissenschaftlerin Christiane Wiesenfeldt dort platzierte (PayWall) und der folgendermaßen eingeleitet wurde:

„Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien plant, dem internationalen Quellenlexikon der Musik die Mittel zu streichen. Das würde eine musikalische Tradition zum Verstummen bringen.“ Der Feuilletonredakteur der WELT, Michael Pilz, legte nach und Bezug auf diese Quelle mit der Überschrift „Claudia Roths musikalische Ignoranz“: „Aus den Lehren des Zweiten Weltkriegs entstand das Internationale Quellenlexikon, um das Musikerbe der Menschheit zu bewahren. Jetzt droht die Kulturstaatsministerin, die Gelder zu streichen. Warum das für alle, die dieses Erbe pflegen, fatal wäre.“ Auf die ganz rechten Postillen will ich aus naheliegenden Gründen gar nicht verweisen.

Ich weiß nicht, wie Sie das lesen, mir kommt es so vor, als stehe da:

Welterbeuntergang:
Roth streicht Förderung des RISM

Einige Dinge kamen mir eigenartig vor, weder auf der Website des RISM noch in dessen Präsenzen in den sozialen Medien ist das Thema aufgenommen worden. Die üblichen Verdächtigen aus der Wissenschaft wie die Gesellschaft für Musikforschung hat dazu nichts geschrieben. Die beteiligten Verlage wie Bärenreiter und Henle haben sich nicht geäußert. Außer in der rechten Bubble findet sich keine Meldung dazu. Aber es gab viel Zuspruch zum Facebookeintrag des Musikwissenschaftlers Arnold Jacobshagen.

Gestern vormittag habe ich im Namen der nmz daher das Bundeskulturministerium (BKM) um eine Stellungnahme gebeten. Die gleiche Anfrage habe ich auch an die Zentralredaktion des RISM gestellt. Beim RISM muss ich noch auf eine Antwort warten, das BKM hat umgehend geantwortet. Es stellte sich heraus: das BKM war bisher überhaupt noch nie an der Finanzierung des RISM beteiligt.

Wie kann es da Gelder streichen?

Wenn überhaupt Gelder geflossen sind, kamen sie aus dem Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, also dem von der FDP geleiteten Ministerium von Bettina Stark-Wazinger.

Eine Sprecherin des BKM dazu: „Richtig ist, dass dieses Musikquellenlexikon noch bis Ende 2025 mit Mitteln aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird und insofern sind die Kolleginnen und Kollegen dort auch die richtigen Ansprechpartner für Fragen zu dieser Förderung. (…) In diesem Frühjahr wurde seitens der Kulturstaatsministerin auf Arbeitsebene darauf hingewiesen, dass eine Übernahme einer Anschlussförderung durch die Kulturstaatsministerin aufgrund der angespannten Haushaltslage bedauerlicherweise nicht erfolgen kann, zumal bislang noch nicht einmal ein Projektantrag mit Kalkulation vorliegt. Erster Ansprechpartner wäre zudem das Bundesministerium für Bildung und Forschung, welches das Musikquellenlexikon auch bisher fördert.“

Immerhin hat Arnold Jacobshagen den genauen Gang der Mittel erwähnt: „Der Bund ist bislang über das Akademienprogramm beteiligt, die Förderung läuft jedoch aus.“ Wobei eben der Bund nicht das BKM ist, sondern das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Und dieses hat offenbar die Mittel nie direkt an das RISM geleitet.

Jetzt kann man sich fragen: Wie konnte eigentlich Frau Roth in die Schusslinie der Kritik geraten. Es gibt ja genug andere Gründe, weshalb man deren Haushaltsentscheidungen für „ungewöhnlich“ und im musikalischen Bereich problematisch halten kann, aber ihr hier quasi den Untergang des Abendlandes anzudichten?

„Claudia Roths kulturelle Ahnungslosigkeit ist nicht nur peinlich, sondern treibt gefährliche Blüten. Nun geht die Kulturstaatsministerin sogar dem Musikerbe der Menschheit an den Kragen. Roths eigene musikalische Sozialisation erfolgte nicht zuletzt durch die Rockband ‚Ton Steine Scherben‘, deren Managerin sie von 1982 bis 1985 war und in deren Berliner WG auch RAF-Mitglieder ein- und ausgingen. Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht schlichtweg zu viel verlangt, von Roth zu erwarten, dass sie die Bedeutung des Internationalen Quellenlexikons der Musik erfasst. Dem will sie nämlich aktuell den Garaus machen.“ (Achse des Guten)

Dahinter stecken möglicherweise andere, unlautere Gründe und Motivationen. Auch die von Arnold Jacobshagen erwähnte Kooperation zwischen FAZ-Autorin und des Präsidiums des RISM als „abgestimmt“ (wenn das denn so stimmt), lässt Fragen in Bezug auf die Neutralität der Recherche selbst offen und über die Kommunikation insgesamt offen: Warum sagt man das nicht klar.

Mich erinnert das an das Manifest für einen neuen Öffentlich-rechtlichen Rundfunk, das ebenso über die rechten Bubbles gestreut worden ist und letztlich ganz zurecht zum Rohrkrepierer wurde.

Aber: Abwarten, welche Antwort von Seiten des RISM noch kommt. Insbesondere hat mich interessiert, um welche Summe es sich handelt, die (angeblich) das ganze Forschungsvorhaben des RISM zum Einsturz bringen soll. Darauf habe ich bislang von keiner Seite eine Antwort erhalten. Warum nur?

Statt an das BKM sollte man sich vielleicht besser an die zwei FDP-geführten Ministerien wenden. Das „Bundesministerium für Digitalisierung und Verkehr“ und das „Bundesministerium für Bildung und Forschung“. Diese beiden scheinen mir, da es in vielen Bereichen auch um Digitalisierung und Forschung geht, die besseren Ansprechpartner:innen zu sein. Werden wir dann in den nächsten Wochen in der WELT lesen: „Bettina Stark-Wazingers musikalische Ignoranz?“ – „Will Volker Wissing das RISM zerstören?“

Insgesamt kann man sich aber vor allem darüber wundern, dass das RISM, das weltweit genutzt wird, an einem seidenen Faden der Bundesföderung zu hängen scheint. Wirklich?

Viele Grüße
Ihr Martin Hufner

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